Sonntag, 11. Juni 2017

Tag der Kontraste

Dies war wirklich ein Tag der Kontraste, der morgens um 9.30 Uhr im Regierungsviertel in Westjerusalem nach einem Abstecher zur Menorah vor der Knesset, dem israelischen Parlament, beim Obersten Gerichtshof begann.Dort erhielten wir eine sehr anschauliche, engagierte Führung durch das architektonisch äußerst ansprechende Gebäude mit seinen vielfältigen symbolischen Bezügen. So soll das Recht der Gerechtigkeit auf der Grundlage der Wahrheit und der Fakten dienen. Dies wird symbolisch durch runde Fenster oben und eckige Formen auf dem Boden sowie eine Pyramide im Zentrum des Baus ausgedrückt. Die Eingangshalle glänzt mit viel Transparenz und einem Blick auf Stadt und Markt (siehe links). Viele Bezüge zu
Jerusalem spiegeln sich in der Architektur wieder, nicht nur die Einteilung in vier Bereiche entsprechend der vier Stadtviertel sondern auch der Bezug zu der Tatsache, dass in jüdischen Gemeinden gemäß der Torah das Recht an den Stadttoren, dem Zugang zur Gemeinschaft, nicht auf dem Forum, gesprochen werden soll. Schließlich gehört zu den 7 noachidischen Geboten (nach Noah für die ganze Menschaft) als einziges positives Gebot unter 6 Verboten, das Gebot Gerechtigkeit zu schaffen. Diese Tore, an denen Recht gesprochen wird, sind im Zugang zu den Gerichtsräumen auch deutlich erkennbar. Das Oberste Gericht baut auf 29 Amtsgerichten und 6 Bezirksgerichten auf und ist zuständig für alle Berufungsverfahren in Zivil- und Strafsachen sowie für verfassungsrechtliche Fragen. Israel hat keine Verfassung sondern 13 Grundgesetze. Die 15 Richterinnen und Richter entscheiden 10.000 Fälle pro Jahr in einem Land, in dem es 70.000 Juristen, also einen pro 150 Einwohnern gibt. Richter werden auf Lebenszeit von einem 9-köpfigen Komitee aus 2 Knesset-Abgeordneten, 2 Regierungsvertretern, 3 Richtern des Obertsten Gerichtshofes sowie 2 Vertretern der Anwaltskammer bestimmt. Damit soll der Einfluss der Politik beschränkt werden. Richter werden automatisch mit 70 Jahren pensioniert. Oft würden sie gerne
weiterarbeiten. Es gibt die ironische Aussage: retired but not tired. Die Entscheidungen des Gerichts widersprechen oft der Regierung bzw. Politik und sind unabhänig und wegweisend in vielen Bereichen. So erhielten die Beweohner des Westjordanlandes während des Golfkrieges 1991 Gasmasken zum Schutz gegen befürchtete
Giftgasangriffe Saddam Husseins, wenn diese auch auf den Dächern dort bejubelt wurden. Eine junge Soldatin erstritt das Recht, auch als Frau Pilotin werden zu dürfen. Die illegale Siedlung Amona im Westjordanland musste auf Gerichtsbeschluss vor wenigen Wochen geräumt werden. Zu Recht besteht das hohe Ansehen des Gerichtes, das wir auch bei der Vorbereitung in Karlsruhe erfahren durfen. Einem Alarm wegen einer Erdbebenübung mussten wir nicht folgen, sondern durften unsere Tour fortsetzen und neben dem Museum auch einer Verhandlung zweier Fälle beiwohnen. In einem der Fälle ging es um die umstrittene Verwaltungshaft für des Terrorismus verdächtigte Personen.

Die Gruppe vor dem Janusz Korczak Denkmal

Das Museum in YafVashem
Mit Verspätung, die wir nicht bereuten, ging es weiter nach YadVashem, der Holocaust-Gedenkstätte, wo der furchtbaren Folgen eines Unrechtssystems gedacht wird, aber auch der Perspektiven, die dies für die Gründung Israels hatte. Tati gelang es meisterhaft -sie ist schließlich auch die beste Reiseführerin von allen- uns in der Kürze der Zeit einen sehr guten Eindruck zu vermitteln.

 Nun überließ uns Tati unserem Schicksal und wir fuhren mit Muhtassem, unserem arabischen Guide aus Ostjerusalem, in die Westbank, das palästinensische Autonomiegebiet. Die Überfahrt über den Checkpoint brachte keinerlei Probleme. Mauer und Abtrennungszaun schockierten jedoch durchaus. Auch die Perspektive wechselte völlig und dieser abrupte Wechsel hinterlässt einen mitunter für eine Weile ratlos. So verursachte die Aussage von Dr. Maria Khoury (links), einer Griechin, die als Gattin des Brauereibesitzers von Taybeh bei der Führung berichtete es gäbe nur für zwei Tage pro Woche Wasser großes Erstaunen. Man behilft sich
allerdings mit Tanks,die man entsprechend befüllt über den Engpass hinweg. Frau Dr. Khoury bestätigte auch auf Nachfrage, dass Wasserpreise für Siedler und Palästinenser dieselben seien. Sehr beeindruckt waren wir von dem Wunsch wirtschaftlich erfolgreich zu sein und trotz widriger Umstände ein Produkt von hoher Qualiät nach deutschem Reinheitsgebot herzustellen. Maria zählt ihre Familie zu den post-Oslo Familien. Sie lernte ihren palästinensischen Ehemann beim Studium in Boston, USA, kennen und zog mit ihm in optimistischer Aufbruchsstimmung 1994 nach Taybe, wo man hoffte die Firma aufbauen und groß machen zu können, auch wenn 90% der Umwohner als Musile keinen Alkohol trinken dürfen. In Jerusaelm und Israel dagegen ist Taybeh Bier bekannt und beliebt. Auch in Hamburg gibt es ein Franchising Subunternehmen, worauf man sehr stolz ist. Das Diskriminierungsgefühl und die Enttäuschung, aber auch der Wunsch nach einer positiven Zukunft waren immer wieder deutlich spürbar, auch bei unserem Guide Mohtassem, der sich mehr und mehr öffnete und an dem Beispiel des Check-Points Kalandia die Probleme der palästinensischen Gesellschaft, die mindestens so zerissen wie die israelische ist, erläutert. Die Flüchtlingslager stellen einen großen Unruheherd dar, Korruption und Führungsrivaliät tun das ihrige. Es fielen
Namen wie Marwan Bagruti, Mohammed Dachlan und Mahmud Abbas. Wer mehr wissen will, möge recherchieren. Dies sprengt den Rahmen des Blogs. Jedenfalls trat ein unverholener Nationalstolz in die Augen von Muhtassem als er uns Rawabi, die Wüsten-Retortenstadt, vorstellt. Nach dem Vorbild der jüdischen Siedler ensteht hier eine moderne palästinsische Stadt, finanziert aus arabischen und israelischen Quellen. Berührungsängste gibt es bei dieser Vorbildfunktion offensichtlich keine. Man dürfe uns solle voneinander lernen. Es gibt relativ günstigen Wohnraum und beste Konsum- und Unterhaltungsmöglichkeiten. Sogar Künstler aus dem Libanon kämen in das größte Amphitheater Israels(!), sagt Muhtassem. Nicht jeder kann hierher ziehen. Die Bewohner werden sorgfältig ausgewählt sowie dann Darlehen bereitgestellt.Top-Auswahlkriterium ist die Bildung. Es soll eine moderne Vorzeigestadt nach dem Vorbild der Siedler werden. Und in der Tat hält unser arabischer Busfahrer, der noch nie hier war, Rawabi zunächst für eine Siedlung. Kein Wunder. Und so konnten wir wegen der Probleme beim Check-Point Kalandia und wegen Zeitknappheit an diesem Tag nicht mehr nach Ramallah fahren.


Die Wüsten-Retortenstatdt Rawabi 

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